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Das sind die heißesten KI-Start-Ups in Europa

„Künstliche Intelligenz ist das Thema schlechthin. Investoren drängen in diesen Bereich aus Sorge, etwas zu verpassen“, sagt Tristan Post, Leiter des „AI Founders“-Programms, das Gründern hilft, KI-Start-ups aufzubauen. Entsprechend entsteht eine ganz neue Start-up-Generation. Dabei kommen die meisten Nachrichten zu KI bislang hauptsächlich aus den USA, wo Microsoft-Partner OpenAI inzwischen mit GPT-4 das vierte, sehr fähige Sprachmodell auf den Markt gebracht hat und Google mit Bard nun nachzieht.

Allerdings bewegt sich inzwischen auch in Europa einiges. Es scheint, als sei der vom Silicon Valley ausgehende Enthusiasmus ansteckend. „Das Rennen um Künstliche Intelligenz ist noch nicht zu Ende“, sagt der neue Präsident des Tech-Branchenverbands Bitkom, Ralf Wintergerst: „ChatGPT war ein Weckruf.“

Die aktuellen Marktdaten belegen seine These. Eine Analyse des Wagniskapitalgebers Atomico zeigt, dass inzwischen vor allem generative KI – die ganze Texte, Programmcodes, Bilder oder Videos produzieren kann – Investoren lockt. Mittlerweile fließen 35 Prozent der KI-Finanzierungen in Europa in diesen speziellen Sektor und damit deutlich mehr als vergangenes Jahr, als der Anteil bei fünf Prozent gelegen hatte. Das Geld sitzt bei Investoren vergleichsweise locker, wenn es um Sprachmodelle geht, weil sie wegen des Hypes mit hohen Renditen durch Verkäufe und Börsengänge rechnen. So gehen die Experten von McKinsey davon aus, dass generative KI die Weltwirtschaft um mehrere Billionen Dollar anschieben könnte.

23 KI-Einhörner gibt es in Europa, 142 in den USA

Der Datendienst Pitchbook hat exklusiv für das Handelsblatt ermittelt, dass es inzwischen 23 aktive KI-Einhörner in ganz Europa gibt, in den USA sind es 142. In Europa ganz oben auf der Rangliste steht das Software-KI-Einhorn Contentsquare aus Paris, gefolgt von Europas wertvollstem Chip-Start-up Graphcore aus Bristol und der Nachhilfeplattform Gostudent aus Wien. Unter den ersten zehn sind allein fünf britische Startups: Graphcore, Cera, Builder, Exscientia sowie Quantexa. Denn in Großbritannien werden KIStart-ups von der Regierung massiv unterstützt. So stehen allein 100 Millionen Pfund für die Entwicklung von Sprachmodellen zur Verfügung. Und auch die Nummer eins, Contentsquare aus Frankreich, erhält Rückenwind durch die Politik. Erst kürzlich kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf der Tech-Messe „Vivatech“ an, 500 Millionen Euro in die Hand nehmen zu wollen, um künftige KI-Champions zu fördern.

Die KI-Strategie der Bundesregierung stammt dagegen aus dem Jahr 2018. In der Rangliste der europäischen KI-Start-ups, die über die vergangenen Jahre die meisten Finanzierungsgelder eingesammelt haben, taucht das erste deutsche Unternehmen erst an neunter Stelle auf. Es ist der Robotertechnologie-Entwickler Agile Robots aus München.

Der KI-Hype befeuert die Lust am Gründen, die offenbar nur noch von der Lust der Geldgeber getoppt wird, in diesen Bereich zu investieren. „Heute gibt es zwei Start-up-Bereiche, für die es mehr Geld als gute Firmen gibt: Künstliche Intelligenz und Sustainability inklusive Cleantech beziehungsweise Climate Tech“, sagt Julian Riedlbauer, Partner bei der Beratungs- und Investmentgesellschaft GP Bullhound. In Frankreich formierte sich erst vor einigen Wochen das Startup Mistral, das ein KI-Sprachmodell für europäische Unternehmen bauen will. Bereits in der Seed-Runde, also noch ganz am Anfang, sammelte Mistral bei Investoren 105 Millionen Euro ein. Zu den Geldgebern gehörte auch der deutsche Fonds Headline. Zum Vergleich: Agile Robots, das wertvollste KI-Start-up in Deutschland, hat seit der Gründung vor fünf Jahren lediglich das Dreifache der Summe eingenommen, auf die Mistral innerhalb von vier Wochen gekommen ist.

Von den US-Dimensionen ist aber selbst Mistral noch weit entfernt: OpenAI aus dem Silicon Valley hat inzwischen das Hundertfache der Mistral-Finanzierung überwiesen bekommen. Mistral hat zwar noch kein Produkt im Angebot, Headline-Chef Christian Miele sieht aber ein enormes Potenzial: „Mistral könnte zur KI-Infrastruktur für die europäische Wirtschaft und Gesellschaft werden.“ Das französische Start-up könnte da auch mit seinem Open-Source-Ansatz und der Fokussierung auf die Bedürfnisse der europäischen Industrie punkten. Solche Sprachmodelle versprächen eine besonders hohe Rendite. Die große Finanzierungsrunde sei nötig gewesen, weil das Trainieren des Modells massive Prozessorleistungen erfordere, sagt Miele, der aktuell auch Chef des deutschen Start-up-Bundesverbands ist, – und die seien teuer. Nach den Worten von Riedlbauer greifen „die gängigen Bewertungsmuster von Softwarefirmen“ bei KI nicht: „Viele Bewertungen sind sogar entkoppelt von den klassischen Kennzahlen, teilweise sieht man erkennbare Übertreibungen.“

Von dem Trend profitieren will auch die bisherige KI-Chefin von SAP, Feiyu Xu. Sie kehrt dem Dax-Konzern den Rücken, um das Start-up Nyonic zu gründen. Nyonic will ebenfalls ein Grundlagenmodell für KI entwickeln. Das soll sich für Spezialanwendungen in der Wirtschaft eignen und mehrere europäische Sprachen unterstützen. Ähnlich wie Mistral muss sich Nyonic erst noch Kunden suchen. Experten sehen allerdings gerade bei Großkunden aus der Wirtschaft einen Markt.

Gibt es bereits eine Blase bei Künstlicher Intelligenz?

Inzwischen ist unbestritten, dass generative KI einen maßgeblichen Einfluss darauf haben wird, wie wir künftig arbeiten und interagieren – und deshalb sind Investoren bereit, hohe Risiken einzugehen. Angesichts der reichlich fließenden Gelder fragen sich die ersten Experten aber auch schon, ob gerade eine Blase entsteht. Viele fühlen sich an den rasanten und mit reichlich billigem Geld befeuerten Aufstieg des Quick-Commerce-Marktes mit Start-ups wie Gorillas, Flink und Getir erinnert. Inzwischen ist dort eine mit zahlreichen Entlassungen verbundene Konsolidierung in vollem Gange, und viele Wagniskapitalgeber (VCs) drohen, Geld zu verlieren. Neuere Akteure wie Alpakas und Yababa sind längst wieder von der Bildfläche verschwunden.

Blasen sind bekanntermaßen schwer zu erkennen, vor allem, wenn sie sich erst aufblähen. Der Gründer und Chef der Berliner KI-Investitionsplattform Merantix, Adrian Locher, sieht aber zumindest die Gefahr einer Blase: „90 Prozent der aktuellen VC-basierten KI-Start-ups werden nicht funktionieren. Es wird aktuell viel finanziert, aber ich glaube, das wenigste kommt am Ende groß raus.“ Philipp Hartmann von der europäischen KIInitiative „Applied AI“ rät dazu, sich das Geschäftsmodell genau anzuschauen: „Wenn man die Sahnetorte von jemand anderem einkauft, eine Kirsche draufpackt und dann Sahnetorte mit Kirsche verkauft, ist das vermutlich keine gute Positionierung.“ Hartmann nennt dafür auch Beispiele. Wer mit seinem Start-up nur auf dem Sprachmodell ChatGPT aufsetze, müsse immer befürchten, dass OpenAI selbst noch in das Feld einsteigt. Und wenn OpenAI beispielsweise beschließe, die Preise zu erhöhen, könne man schnell unter Druck geraten. Radek Zaleski vom polnischen Beratungsunternehmen Netguru weist darauf hin, dass bisher nur eine Handvoll Unternehmen, darunter Microsoft, ein mehr oder weniger skalierbares Geschäftsmodell präsentiert habe, „während der Rest weiterhin eher auf Basis vager Ideen“ arbeite.

Naturgemäß sieht das Quantexa aus London ganz anders. Der britische Hoffnungsträger hat im März bei Investoren 129 Millionen Dollar eingesammelt und wird dadurch nun mit 1,8 Milliarden Dollar bewertet. Quantexa will den Markt für Datenanalysen aufrollen. Seine Echtzeit-KI-Lösung nennt das Unternehmen „Entscheidungs-Intelligenz“ und hat damit unter anderem bereits Europas größte Bank HSBC als Kunden gewonnen. Mithilfe von Quantexa überprüft das Finanzinstitut jeden Monat mehr als 689 Millionen Transaktionen auf Anzeichen für Finanzkriminalität. Das Geschäft wachse rasant, betont das Start-up. An einen Börsengang denke man aber aktuell noch nicht.

Nur 15 Prozent der Unternehmen in Deutschland nutzen KI

Dabei kann nur der Gang auf das Parkett für die Liquidität sorgen, die Investitionen besonders attraktiv macht. Locher vom Investor Merantix gibt deswegen als Ziel aus: „Wir wollen KI-Startups bauen, die die Chance auf einen Börsengang haben.“ Dafür benötigten die Start-ups allerdings früh Kunden. Es könne nicht sein, dass ein Startup erst nach ein paar Jahren feststelle, ob es eine Nachfrage für sein Angebot gebe – da fehle es von vornherein an der Existenzberechtigung. Das ist aktuell aber noch schwierig. Einer Bitkom- Erhebung zufolge gehen zwar rund drei Viertel der befragten Unternehmen davon aus, dass KI eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat.

Aber bislang nutzen nur 15 Prozent KI im eigenen Unternehmen. „Je mehr KI-Anwendungen auf den Markt kommen, desto mehr Unternehmen sollten und – das ist meine Hoffnung – werden sie sich zunutze machen“, sagt Bitkom-Präsident Wintergerst.

Dafür benötigen die Unternehmen entsprechende Fachkräfte – daran soll es einer umfangreichen Erhebung des Wagniskapitalgebers Sequoia zufolge aber keinen Mangel geben. Demnach ist der Anteil von KI-Experten in Europa gemessen an der Bevölkerung um 30 Prozent höher als in den USA – und sogar fast dreimal so hoch wie in China. Insgesamt haben nahezu 200.000 Ingenieure bereits Erfahrungen im Bereich Künstliche Intelligenz gesammelt, rund 43.000 sind sogar ausgewiesene Fachkräfte mit umfangreichem KI-Wissen. Allerdings arbeiten diese KI-Experten häufig für die US-Konzerne Google, Microsoft, Meta und Amazon. Der Sequoia-Studie zufolge haben aktuell vor allem Amazon und Google KI-Expertenteams in mehreren europäischen Städten. Im Vergleich zu Start-ups, egal wie gut diese finanziert sind, zahlen diese Großfirmen in der Regel höhere Gehälter – und sorgen für viel Renommee im Lebenslauf.

Sequoias Talente-Managerin Zoe Hewitt zufolge entscheiden sich KI-Experten trotzdem immer häufiger für ein Start-up als Arbeitgeber. Das liege daran, dass sie bei den jungen Unternehmen an vorderster Front an neuen Visionen mitwirken könnten. Und das sei in diesem goldenen Zeitalter der Innovation vielen Arbeitnehmern mehr wert. Eine Art Goldgräberstimmung herrscht also nicht nur bei Gründern und Investoren, sondern auch bei den KI-Fachkräften.

Quelle: handelsblatt.com - 7.März 2024

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