Interviewer: Guten Tag, Frau Meitner. Es ist uns eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen. Könnten Sie uns über Ihre naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und Ihren Beitrag zur Wissenschaft erzählen?
Lise Meitner: Guten Tag. Es freut mich, hier zu sein. Mein größter Beitrag zur Wissenschaft ist die Entdeckung der Kernspaltung, die ich zusammen mit Otto Hahn und Fritz Strassmann gemacht habe. Wir haben herausgefunden, dass, wenn man Uran mit Neutronen beschießt, es in kleinere Elemente zerfällt und dabei eine enorme Energiemenge freisetzt. Diese Entdeckung haben mein Neffe Otto Frisch und ich 1939 theoretisch beschrieben und erklärt.
Interviewer: Was bedeutet diese Entdeckung für die Wissenschaft und die Gesellschaft?
Lise Meitner: Die Entdeckung der Kernspaltung war ein Wendepunkt in der Physik und hatte weitreichende Konsequenzen. Sie hat nicht nur zu einem besseren Verständnis der Kernphysik geführt, sondern auch den Weg für die Entwicklung der Atomenergie und der Atombombe geebnet. Obwohl ich stets hoffte, dass die Kernspaltung für friedliche Zwecke genutzt würde, wurden ihre zerstörerischen Möglichkeiten im Zweiten Weltkrieg deutlich.
Interviewer: Wie haben Sie sich in einer von Männern dominierten Wissenschaftswelt behauptet?
Lise Meitner: Es war nicht einfach. Ich musste viele Hürden überwinden, darunter Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund meines Geschlechts und meiner jüdischen Herkunft. Besonders schwierig wurde es, als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen und mir die Lehrbefugnis entzogen wurde. 1938 musste ich aus Deutschland fliehen und meine Arbeit im Exil fortsetzen.
Interviewer: Was halten Sie von der Nutzung Ihrer Entdeckung für militärische Zwecke?
Lise Meitner: Ich habe immer gehofft, dass die Kernspaltung für friedliche Zwecke genutzt wird. Die Zerstörungskraft der Atombombe ist erschreckend, und ich bedauere, dass meine Forschung dazu beigetragen hat. Während des Zweiten Weltkrieges habe ich mich geweigert, an der Entwicklung von Atomwaffen mitzuwirken, obwohl ich dazu aufgefordert wurde.
Interviewer: Wurde Ihre Arbeit angemessen gewürdigt?
Lise Meitner: Lange Zeit wurde meine Rolle bei der Entdeckung der Kernspaltung übersehen, und Otto Hahn erhielt 1944 allein den Nobelpreis für Chemie. Doch inzwischen ist meine Beteiligung anerkannt worden, und ich habe zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter die Max-Planck-Medaille und den Enrico-Fermi-Preis.
Interviewer: Welchen Rat würden Sie jungen Wissenschaftlern geben?
Lise Meitner: Bleiben Sie neugierig und hartnäckig. Wissenschaft ist ein langwieriger Prozess, und es braucht Ausdauer, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Lassen Sie sich nicht entmutigen und verfolgen Sie Ihre Ziele mit Leidenschaft. Und vor allem: Haben Sie Ehrfurcht vor der Wahrheit, egal ob sie mit Ihren Wünschen oder vorgefassten Meinungen übereinstimmt oder nicht.
Interviewer: Vielen Dank, Frau Meitner, für dieses inspirierende Gespräch und Ihre bedeutenden Beiträge zur Wissenschaft.
Lise Meitner: Es war mir ein Vergnügen. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beiträgt, die Welt ein wenig besser zu verstehen.
„Hähnchen, von Physik verstehst Du nichts, geh nach oben!“
Ernst Brüche (Hrsg.): Physiker-Anekdoten: Gesammelt und mitgeteilt von Kollegen. Physik-Verlag, Mosbach/Baden 1952, S. 33
„Hähnchen, das verstehst Du nicht, das ist Physik!" Das ließ er sich gerne von ihr sagen und dann war so seine Stimmung: Na ja, das muss die Lise wissen, aber wie man diesen Stoff macht, das weiß ich - und deshalb ist es sehr gut, wenn man miteinander arbeitet.
Carl Friedrich von Weizsäcker: Gespräch, in: Lise Meitner: Erinnerungen an Otto Hahn. Hrsg. von Dietrich Hahn. S. Hirzel, Stuttgart 2005, S. 134