Inkontinenz: Grundlagen, Formen und multidisziplinäre Versorgung
Zielsetzung: Das übergeordnete Lernziel ist die Vermittlung von fundiertem Fachwissen zu Anatomie, Physiologie und den verschiedenen Formen der Harninkontinenz. Die Lernenden sollen die pflegerische Kompetenz erwerben, die Kontinenzförderung nach dem Expertenstandard umzusetzen, Inkontinenz frühzeitig zu erkennen und das Thema wertschätzend zu kommunizieren (Enttabuisierung).
Inhalte und Methoden: Das Arbeitsblatt beginnt mit einer Partnerarbeit zur Anatomie und Physiologie der Harnkontinenz (Blase, Beckenboden, Miktionsreflex). Anschließend werden die Definition (nach ICS) und die Formen (Belastungs-, Drang-, Mischinkontinenz) zusammengefasst. Der pflegerische Fokus liegt auf der Erkennung von Anzeichen und der Anwendung des Expertenstandards "Förderung der Harnkontinenz" (DNQP). Zur Erfassung wird die Auswahl geeigneter Screening-Instrumente (z. B. Miktionsprotokoll) erörtert. Ein zentraler methodischer Ansatz ist das Rollenspiel in Dreiergruppen, bei dem die Kommunikation über das schambesetzte Thema Inkontinenz geübt und anschließend im Plenum reflektiert wird. Ergänzend wird ein variables Thema durch Textarbeit und Multiple-Choice-Fragen vertieft.
Kompetenzen:
- Anatomisch-physiologisches Fachwissen: Verstehen der Mechanismen der Kontinenz und Inkontinenz
- Expertenstandard-Anwendung: Umsetzen der zentralen Schritte des DNQP-Expertenstandards zur Inkontinenzförderung
- Kommunikative Kompetenz: Führen eines sensiblen, enttabuisierenden Gesprächs über Inkontinenz mit Patient:innen
- Pflegediagnostik: Erkennen von Anzeichen und Auswählen geeigneter Screening-Instrumente (z. B. Miktionsprotokoll) zur Kontinenzerfassung
Zielgruppe und Niveau:
Berufsschule
Hinweis.
Für die Bearbeitung wird der Zugang zum Internet benötigt.
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Target group and level
Auszubildende im Pflegeberuf
Subjects
Inkontinenz: Grundlagen, Formen und multidisziplinäre Versorgung


Kontinenz – Was hält uns dicht?
Partnerarbeit und anschließender Kurzvortrag/Plenumsdiskussion:
- Anatomie und Physiologie: Bilden Sie Zweiergruppen. Recherchieren und skizzieren Sie kurz die anatomischen Strukturen (Blase, Schließmuskeln, Beckenboden) und physiologischen Mechanismen (Blasenfüllung, Miktionsreflex, bewusste Kontrolle), die für die Harnkontinenz verantwortlich sind.
- Fokus: Erläutern Sie anatomische, physiologische und psychologische Zusammenhänge, die Kontinenz begründen. Beziehen Sie dabei kurz das Körperschema und die Rolle des Beckenbodens ein.
Hier finden Sie Platz für Notizen.
MUSTERLÖSUNG FÜR DIE LEHRKRAFT!!!
Musterlösung: Kontinenz – Was hält uns dicht?
1. Anatomische Strukturen
Blase
Die Harnblase ist ein dehnbares Hohlorgan, das den Harn sammelt. Sie liegt im kleinen Becken und kann etwa 800–1000 ml Harn fassen.
Schließmuskeln
Der innere Schließmuskel (M. sphincter urethrae internus) befindet sich am Blasenhals und ist unwillkürlich, also vegetativ gesteuert. Der äußere Schließmuskel (M. sphincter urethrae externus) liegt im Beckenboden und kann willentlich angespannt werden.
Beckenboden
Der Beckenboden besteht aus mehreren Muskelschichten. Er stützt die Beckenorgane und ist wesentlich an der Kontinenz beteiligt, da er den äußeren Schließmuskel integriert.
2. Physiologische Mechanismen
Blasenfüllung
Die Füllung der Blase wird durch Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand registriert. Bei zunehmender Füllung werden diese Rezeptoren aktiviert.
Miktionsreflex
Ab einer bestimmten Füllmenge senden die Rezeptoren Signale an das Rückenmark und das Gehirn. Der Miktionsreflex wird ausgelöst: Die Blasenmuskulatur zieht sich zusammen, die Schließmuskeln entspannen sich – die Entleerung der Blase wird vorbereitet.
Bewusste Kontrolle
Die bewusste Kontrolle erfolgt über das Gehirn, das den Reflex hemmen oder auslösen kann. So wird die Miktion meist erst auf der Toilette bewusst zugelassen, indem der äußere Schließmuskel und der Beckenboden entspannt werden.
3. Psychologische Zusammenhänge
Körperschema
Das Körperschema umfasst das Bewusstsein und die Wahrnehmung des eigenen Körpers. Eine intakte Wahrnehmung der Blasenfüllung und des Beckenbodens ist Voraussetzung für eine rechtzeitige Blasenentleerung.
Rolle des Beckenbodens
Ein trainierter Beckenboden verbessert die Kontrolle über die Schließmuskeln. Bewegungsmangel, Übergewicht oder Schwangerschaft können den Beckenboden schwächen und so das Risiko einer Inkontinenz erhöhen.
Psychologische Faktoren
Emotionale Belastungen, Stress oder psychische Erkrankungen können die bewusste Kontrolle der Miktion beeinträchtigen, z. B. durch unwillkürliches Einnässen.
4. Fazit
Harnkontinenz beruht auf dem Zusammenspiel anatomischer Strukturen, physiologischer Reflexe und bewusster Steuerung. Der Beckenboden nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, und auch das Körperschema sowie psychologische Faktoren beeinflussen die Kontinenzfähigkeit maßgeblich. Ein gezieltes Training und eine bewusste Wahrnehmung unterstützen eine gesunde Kontinenz.


Arbeitsauftrag: Definition und Formen: Fassen Sie in Stichpunkten zusammen:
- Die Definition von Inkontinenz (nach ICS).
- Die drei häufigsten Formen der Harninkontinenz (Belastungs-/Stress-, Drang-/Urge- und Mischinkontinenz) und ihre primären Ursachen.
Hier finden Sie Platz für Ihre Überlegungen.
MUSTERLÖSUNG FÜR DIE LEHRKRAFT!!!
Musterlösung: Definition und Formen der Harninkontinenz
Definition von Inkontinenz (nach ICS)
- Harninkontinenz ist der unfreiwillige Verlust von Urin.
- Es handelt sich um das Unvermögen, die Blase willkürlich zu kontrollieren, sodass Urin zu ungeeigneten Zeitpunkten oder an ungeeigneten Orten abgegeben wird.
Die drei häufigsten Formen der Harninkontinenz und ihre primären Ursachen
1. Belastungs- / Stressinkontinenz
- Definition: Unwillkürlicher Urinverlust bei körperlicher Belastung (z. B. Husten, Niesen, Heben, Lachen).
- Ursachen:
- Schwäche der Beckenbodenmuskulatur (häufig nach Geburten, bei Übergewicht).
- Senkung der weiblichen inneren Genitalien.
- Östrogenmangel in den Wechseljahren.
- Vor allem Frauen sind betroffen.
2. Drang- / Urgeinkontinenz
- Definition: Unfreiwilliger Urinverlust verbunden mit plötzlich auftretendem, starkem Harndrang, der nicht unterdrückt werden kann.
- Ursachen:
- Motorische Dranginkontinenz: Störung der zentralen Steuerung, z. B. bei Demenz, Morbus Alzheimer, degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, Medikamenteneinnahme.
- Sensorische Dranginkontinenz: Erkrankungen der Blase (z. B. Blasenentzündung, Steine, Tumor).
3. Mischinkontinenz
- Definition: Kombination von Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz, d. h. sowohl bei Belastung als auch bei Harndrang kommt es zu Urinverlust.
- Ursachen:
- Es liegen die Auslöser beider Formen (s. oben) gleichzeitig vor.
- Mischform tritt häufig bei älteren Menschen auf.
Hinweis: Weitere Formen wie Überlauf- oder Reflexinkontinenz existieren, die genannten drei sind jedoch die häufigsten.

Der erste Blick – Anzeichen und Expertenstandard
Arbeitsauftrag Einzelarbeit:
Anzeichen: Nennen Sie mindestens fünf Anzeichen/Hinweise, die bei Patientinnen und Patienten auf eine beginnende oder bestehende Harninkontinenz hindeuten können.
Expertenstandard: Recherchieren Sie den aktuellen Expertenstandard "Förderung der Harnkontinenz in der Pflege" (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege - DNQP).
- Fokus: Nutzen Sie die einschlägigen Expertenstandards...
- Kernfrage: Welche drei zentralen Schritte/Maßnahmen sind laut Expertenstandard Pflicht im Umgang mit dem Phänomen Inkontinenz im Erstkontakt/bei der pflegerischen Aufnahme?
Besprechen Sie anschließend Ihre Ergebnisse im Plenum.
Tragen Sie ein.
Expertenstandard
MUSTERLÖSUNG FÜR DIE LEHRKRAFT!!!
Musterlösung: Anzeichen und Expertenstandard bei Harninkontinenz
1. Anzeichen und Hinweise auf eine beginnende oder bestehende Harninkontinenz
Mindestens fünf typische Anzeichen, die auf eine Harninkontinenz bei Patientinnen und Patienten hindeuten können, sind:
- Unfreiwilliger Harnverlust – z. B. beim Husten, Niesen, Lachen oder körperlicher Anstrengung.
- Plötzlicher, starker Harndrang – oft mit sofortigem Urinverlust verbunden.
- Häufige Toilettengänge – insbesondere das Gefühl, häufig nur kleine Mengen urinieren zu können.
- Nasse oder feuchte Unterwäsche und/oder Bettwäsche – auffällig z. B. durch mitgebrachte Inkontinenzmaterialien oder Uringeruch.
- Harnträufeln bzw. ständiger Harnabgang – auch nach dem Toilettengang.
- Gefühl einer nicht vollständig entleerten Blase oder verzögerter Beginn der Miktion.
- Hautveränderungen im Intimbereich – wie Rötungen oder Reizungen, die auf häufige Feuchtigkeit zurückgehen können.
2. Expertenstandard „Förderung der Harnkontinenz in der Pflege“ – DNQP
Im Erstkontakt bzw. bei der pflegerischen Aufnahme sind laut Expertenstandard drei zentrale Maßnahmen Pflicht:
a) Einschätzung des Inkontinenzrisikos und der aktuellen Kontinenzsituation
- Durchführung eines sensiblen, individuellen Gespräches zur Erfassung von Risikofaktoren, bisherigen Inkontinenzepisoden und aktuellen Beschwerden.
- Nutzung von Assessmentinstrumenten wie Miktionsprotokollen oder Miktionstagebüchern.
- Beobachtung des Verhaltens und der Umgebung auf Hinweise für Inkontinenz (z. B. häufige Toilettengänge, Uringeruch, nasse Wäsche).
b) Differenzierte Anamnese und körperliche Untersuchung
- Erhebung der medizinischen Vorgeschichte, aktueller Medikation, Vorerkrankungen und psychosozialer Auswirkungen.
- Ausschluss von behandelbaren Ursachen wie Harnwegsinfekten (z. B. durch Urinanalyse).
- Ggf. Durchführung eines Restharnvolumen-Tests.
c) Gemeinsame Zielvereinbarung und Maßnahmenplanung
- Einbeziehung der betroffenen Person in die Planung der weiteren Maßnahmen und Ziele.
- Sensibler und empathischer Umgang mit dem Thema, Wahrung der Intimsphäre.
- Aufklärung über mögliche Hilfsmittel, Kontinenztraining und präventive Maßnahmen wie ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Toilettentraining und Beckenbodentraining.
Übersicht der Pflichten im Erstkontakt:
- Einschätzung des Risikos und der Situation
- Differenzierte Anamnese und Untersuchung
- Gemeinsame Zielsetzung und Maßnahmenplanung
Diese strukturierte Vorgehensweise gewährleistet einen professionellen und respektvollen Umgang mit dem Phänomen Inkontinenz und fördert die Lebensqualität der Betroffenen.
Arbeitsauftrag - Erfassung: Erläutern Sie Wege zur Erfassung der Kontinenz im Rahmen der pflegerischen Anamnese. Begründen Sie die Auswahl eines geeigneten Screening-Instruments (z. B. Miktionsprotokoll, ICIQ-SF-Fragebogen) für eine erste Einschätzung.

Versorgung, Kommunikation und psychosoziale Aspekte
Rollenspiel in Dreiergruppen und anschließende Reflexion.
- Szenario: Eine Auszubildende (Schüler:in 1) soll in dem Rollenspiel bei einer 75-jährigen Patientin (Schüler:in 2) das Thema Inkontinenz ansprechen, da diese ihre nasse Hose zu verstecken versucht. Der/die dritte Schüler:in (Schüler:in 3) beobachtet das Gespräch. Der/die Beobachter:in soll die folgende Tabelle als Hilfsmittel nutzen.
- Durchführung: Führen Sie das kurze Gespräch durch (ca. 5 Minuten).
- Reflexion: Leiten Sie Kriterien für gelungene Interaktion in der pflegerischen Unterstützung von Menschen mit Kontinenzproblemen her.
- Fokus: Erschließen Sie Regeln und Empfehlungen zur Kontinenzberatung bzw. zur Kommunikation bzgl. Inkontinenz.
- Diskutieren Sie: Wägen Sie Gründe für und gegen ein pflege- und gesundheitsbezogenes Überschreiten von Tabugrenzen ab. Wie gelingt es, das Thema wertschätzend und enttabuisierend anzugehen?
Auszubildende

75-jährige Patientin

Beobachter:in

Füllen Sie das Feedback zu Ihrer Gruppenarbeit aus.

Hilfsmittel und Belastungserleben
Arbeitsauftrag: Lesen Sie den folgenden Text aufmerksam.
Therapie und Förderung bei Harninkontinenz: Möglichkeiten und Maßnahmen
Harninkontinenz, also der unwillkürliche Verlust von Urin, betrifft Menschen jeden Alters und ist mit erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität verbunden. Die Therapie und Förderung bei Inkontinenz müssen individuell an die jeweilige Form und Ursache angepasst werden.
Diagnose und individuelle Einschätzung
Zu Beginn steht eine umfassende Anamnese, bei der Symptome, Risikofaktoren sowie psychosoziale Auswirkungen erfasst werden. Hilfreich sind Miktionsprotokolle, die über mehrere Tage das Trink- und Ausscheidungsverhalten dokumentieren. So kann eine gezielte Therapie eingeleitet werden.
Konservative Therapieansätze
Ein zentraler Bestandteil der Förderung ist das Kontinenztraining. Hierzu zählen vor allem das Toilettentraining und das Blasen- und Beckenbodentraining. Das Toilettentraining hilft, die Toilettengänge an individuelle Ausscheidungsgewohnheiten anzupassen oder diese zu regulieren. Insbesondere bei Dranginkontinenz kann dies helfen, den richtigen Zeitpunkt für den Toilettengang zu erkennen.
Das Blasen- und Beckenbodentraining zielt darauf ab, die Muskulatur zu stärken und so die Kontinenz zu fördern. Regelmäßige Übungen, eventuell unterstützt durch Physiotherapie, können das Fassungsvermögen der Blase erhöhen und unwillkürlichen Urinverlust verringern.
Weitere Fördermaßnahmen
Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und ausgewogene Ernährung sind wichtig, um Harnwegsinfektionen vorzubeugen. Der Verzicht auf harntreibende Getränke wie Kaffee oder Alkohol kann unterstützend wirken. Bewegung und Gewichtsregulation tragen zusätzlich zur Verbesserung der Inkontinenz bei. Moderne Hilfsmittel wie Apps, Biofeedback oder Elektrostimulation bieten weitere Unterstützungsmöglichkeiten.
Beratung und Umgang
Das Thema Inkontinenz ist schambehaftet. Eine sensible Beratung, Anleitung zur Anwendung von Hilfsmitteln und Wahrung der Intimsphäre sind zentrale Bestandteile jeder Therapie. Pflegefachkräfte schaffen eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre und passen Maßnahmen individuell an die Bedürfnisse der Betroffenen an.
So gelingt eine ganzheitliche Therapie und nachhaltige Förderung bei Harninkontinenz.
Beantworten Sie die Fragen korrekt.

Reflexion und Zusammenfassung
Zusammenfassung und Überleitung: Fassen Sie gemeinsam die wichtigsten Erkenntnisse zu Kontinenzförderung und Hilfsmittelwahl zusammen.
Ausblick: Welche weiteren Schritte wären nun in einer konkreten Versorgungssituation notwendig (z. B. ärztliche Diagnostik, Erschließung der regionalen Angebotsstruktur)?