Kinderschutz in der Pädiatrie: Der medizinische Blick auf Gewalt und Vernachlässigung
Zielsetzung: Das übergeordnete Lernziel ist die Steigerung der diagnostischen Kompetenz von medizinischem Fachpersonal zur Differentialdiagnose von Kindeswohlgefährdung. Die Lernenden sollen befähigt werden, medizinische Spuren von Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung sicher von zufälligen Geschehnissen abzugrenzen, um im Sinne des Kinderschutzes adäquat und rechtzeitig handeln zu können.
Inhalte und Methoden: Das Arbeitsblatt vertieft zunächst mittels Gruppenarbeit und Recherche die Physiologie des kindlichen Bewegungsapparates (Knochenheilung, Frakturlehre) im Vergleich zum Erwachsenen. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Erkennung spezifischer Verletzungsmuster (z. B. Verbrennungen, Hämatome, Frakturen) und deren Interpretation bei abweichender Unfallanamnese. Dies wird durch die Unterscheidung von zufälligen Verletzungen und Anzeichen von Gewalt (z. B. "Tauchtechnik", "Sockenmuster") in einer Tabelle strukturiert. Weitere Themen sind die Symptome von Mangelernährung und körperlicher Vernachlässigung sowie die Anzeichen zur Erkennung sexueller Übergriffe (Recherche und Mindmap). Die Einheit schließt mit einer Diskussion im Plenum über die sich daraus ergebenden Meldepflichten und die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Kompetenzen:
- Differentialdiagnostische Fachkompetenz: Sicheres Unterscheiden von zufälligen und nicht-zufälligen Verletzungen (z. B. thermische, Frakturen)
- Wissensanwendung: Anwenden von Kenntnissen über die kindliche Anatomie (Frakturlehre) zur Beurteilung von Unfallhergängen
- Sensibilität und Trauma-Awareness: Erkennen von Anzeichen sexueller Übergriffe sowie Mangelernährung/Vernachlässigung und Verständnis für traumasensible Befragung
- Handlungssicherheit: Ableiten der Meldepflichten und des korrekten Handlungsschrittes beim begründeten Verdacht auf Kindeswohlgefährdung
Zielgruppe und Niveau:
Berufsschule
Hinweis: Für die Bearbeitung mancher Aufgaben wird der Zugang zum Internet benötigt.
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Target group and level
Auszubildende im Pflegeberuf
Subjects
Kinderschutz in der Pädiatrie: Der medizinische Blick auf Gewalt und Vernachlässigung

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Differentialdiagnose von Kindeswohlgefährdung
Die Arbeit mit Kindern in medizinischen Berufen erfordert nicht nur die Behandlung von Erkrankungen und unfallbedingten Verletzungen, sondern auch eine hohe Sensibilität und Expertise in der Differentialdiagnose von Kindeswohlgefährdung. Die vorliegende Unterrichtseinheit befasst sich mit der komplexen Aufgabe, die medizinischen Spuren von Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung zu erkennen und diese klar von zufälligen Geschehnissen abzugrenzen. Wir vertiefen zunächst unsere Kenntnisse zur Physiologie des kindlichen Bewegungsapparates, der Knochenheilung und der Frakturlehre, um spezifische Verletzungsmuster, wie die Oberschenkelfraktur im Kindesalter, sicher beurteilen zu können. Im weiteren Verlauf wird der Fokus auf die Unterscheidung von Symptomen gelegt: Wie sind Verbrennungswunden, Hämatome oder Frakturformen zu interpretieren, wenn die geschilderte Unfallanamnese nicht dazu passt? Besonderes Augenmerk gilt der Erkennung von Symptomen der Mangelernährung und körperlichen Vernachlässigung, die eine akute Gefährdung signalisieren, sowie den spezifischen Anzeichen und Formen zur Erkennung sexueller Übergriffe. Ziel ist es, die diagnostischen Kompetenzen zu schärfen, um im Sinne des Kinderschutzes adäquat und rechtzeitig handeln zu können. Im folgenden werden einige dieser Themen eigenständig recherchiert.
Arbeitsauftrag Gruppenarbeit: Der kindliche Bewegungsapparat
Recherchieren Sie gemeinsam zu einem der folgenden Themen, schreiben Sie Ihre Notizen auf. Erstellen Sie dafür eine Mindmap zu dem Thema, welches Sie zugeteilt bekommen.
Themen, die pro Gruppe zugeteilt werden: Physiologie des Bewegungsapparates eines Kindes, Knochenheilung und Frakturlehre eines Kindes, Oberschenkelfrakturen im Kindesalter.
Der kindliche Bewegungsapparat
Arbeitsauftrag: Fassen Sie in Ihren Gruppen die Besonderheiten des kindlichen Knochens und der Knochenheilung (z. B. Wachstumsfugen, dickes Periost, Remodellierungspotenzial) im Vergleich zum Erwachsenen zusammen.
Diskutieren Sie:
- Welche spezifischen diagnostischen Herausforderungen ergeben sich bei einer Oberschenkelfraktur (Femurfraktur) bei einem Kleinkind? (z. B. Röntgendiagnostik der Epiphysenfugen).
- Welche Therapie- und Osteosyntheseverfahren (z. B. elastisch-stabile intramedulläre Nagelung, Gipsverbände) werden bei Kindern altersabhängig angewendet und warum?
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Besprechung der Gruppenarbeit
Arbeitsauftrag: Stellen Sie kurz Ihre Ergebnisse aus der Gruppe vor. Sie fungieren als Expert:innengruppe für Ihr erstes Thema und erklären nun den anderen Gruppen Ihre Thematik. Tauschen Sie anschließend Ihre Ergebnisse zu der zweiten Aufgabe aus.
Hier finden Sie Platz für Notizen für die anderen Themen der Gruppen.
Arbeitsauftrag: Lesen Sie den folgenden Text aufmerksam.
Verletzungsmuster bei Kindern: Verbrennungen und Verbrühungen – Zufall oder Gewalteinwirkung?
Verbrennungen und Verbrühungen zählen zu den häufigsten thermischen Verletzungen im Kindesalter. Die Unterscheidung zwischen zufälligen Verletzungen und solchen, die auf Gewalteinwirkung zurückzuführen sind, ist von großer Bedeutung, da sie Hinweise auf Misshandlung liefern kann.
Zufällige Verletzungen
Bei Kindern entstehen die meisten Verbrennungen und Verbrühungen durch alltägliche Haushaltsunfälle. Typische Beispiele sind das Umstoßen heißer Flüssigkeiten, wie Wasser, Tee oder Suppe, das Greifen nach einem heißen Topf auf dem Herd oder das Berühren eines Bügeleisens. Die Verletzungsmuster zeigen sich oft an den Vorderseiten des Körpers, beispielsweise an Brust, Bauch, Armen und Händen. Häufig handelt es sich um unregelmäßig begrenzte, spritz- oder tropfenförmige Areale. Auch das versehentliche Überlaufen von heißem Badewasser führt häufig zu Verbrühungen an den Beinen und im Genitalbereich. Charakteristisch für diese Unfälle ist, dass die Verletzungen unterschiedlichen Schweregrad aufweisen und meist keine scharfen Begrenzungen haben.
Folgen von Gewalteinwirkung
Bei Verdacht auf Misshandlung oder Vernachlässigung weisen Brandverletzungen häufig ein anderes Muster auf. Verletzungen durch Gewalteinwirkung sind oft deutlich abgegrenzt und symmetrisch. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte „Tauchtechnik“: Bei dieser Form der Misshandlung werden Kinder absichtlich in heißes Wasser getaucht. Typisch sind dabei scharf begrenzte, gleichmäßige Verbrühungen, etwa an Gesäß, Genitalien und den unteren Extremitäten, während die Hautfalten ausgespart bleiben („Socken- oder Handschuhmuster“). Auch Kontaktverbrennungen, etwa durch das Pressen einer Zigarette oder eines heißen Gegenstands auf die Haut, zeigen runde oder ovale, klar umrissene Verletzungen, die nicht zum üblichen Unfallgeschehen passen. Brandmale in Form von Mustern (z. B. genau kreisförmige Stellen) sind ebenfalls verdächtig.
Weitere Hinweise auf Misshandlung sind Verletzungen an ungewöhnlichen Körperstellen wie Rücken, Gesäß oder Oberschenkel sowie Erklärungen der Eltern, die nicht mit der Art und Ausdehnung der Verletzungen übereinstimmen. Wiederholte oder unterschiedlich alte Verletzungen können ebenfalls ein Warnsignal sein.
Beispiele für Verletzungsmuster
- Zufällig: Verbrühung durch umgekippten Topf – unregelmäßige, tropfenförmige Verbrennungen an Armen und Oberkörper.
- Gewalteinwirkung: „Tauchtechnik“ – scharf begrenzte Verbrühungen an beiden Beinen, während Kniekehlen ausgespart sind.
- Zufällig: Kontakt mit Bügeleisen – unregelmäßige Brandverletzung an der Hand.
- Gewalteinwirkung: Zigarette – runde, exakt begrenzte Brandmale am Arm.
Die genaue Analyse von Verletzungsmustern ist essenziell, um Kinderschutz zu gewährleisten und gegebenenfalls entsprechende Hilfe einzuleiten.
Arbeitsauftrag: Tragen Sie in die Tabelle ein. Unterscheiden Sie zwischen zufälligen Verletzungen und Anzeichen von Gewalt. Nutzen Sie die Beispiele aus dem Text und überlegen Sie sich weitere Beispiele.
Tragen Sie ein.

Reflexion
Arbeitsauftrag-Partnerarbeit: Halten Sie fest, warum die genaue Lokalisation, Symmetrie und das Alter der Verletzung in der pädiatrischen Diagnostik so entscheidend ist, um eine nicht-zufällige Verletzung zu identifizieren. Besprechen Sie anschließend Ihre Ergebnisse im Plenum.
Schreiben Sie hier Ihre Überlegungen auf.
Arbeitsauftrag: Lesen Sie den folgenden Text aufmerksam.
Altersgerechte Ernährung und Anzeichen von Mangelernährung sowie körperlicher Vernachlässigung bei Kindern und Kleinkindern
Altersgerechte Ernährung im Kindesalter
Eine altersgerechte Ernährung ist für das gesunde Wachstum und die Entwicklung von Kindern und Kleinkindern essenziell. Besonders in den ersten Lebensjahren sind die Ernährungsbedürfnisse deutlich anders als bei Erwachsenen. Säuglinge sollten in den ersten 6 bis 8 Lebensmonaten ausschließlich gestillt werden. Muttermilch liefert alle notwendigen Nährstoffe und schützt das Kind vor Infektionen. Im Anschluss beginnt die schrittweise Einführung von Beikost – meist zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat. Zunächst wird ein Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei empfohlen, später folgen Milch-Getreide-Brei und Getreide-Obst-Brei. Die Einführung neuer Lebensmittel sollte stufenweise erfolgen, um Unverträglichkeiten frühzeitig zu erkennen.
Ab dem 10. bis 12. Lebensmonat beginnt die Umstellung auf die sogenannte Familienkost, wobei sich die Ernährungspyramide als Orientierungshilfe eignet. Eine ausgewogene Ernährung basiert auf einer Vielzahl von Lebensmittelgruppen: Getränke (vor allem Wasser und ungesüßte Tees), Gemüse, Obst, Getreideprodukte, Milch und Milchprodukte, Fisch, Fleisch, Eier, Fette und Öle sowie gelegentlich „Extras“ wie Süßigkeiten. Die Portionsgrößen können altersgerecht an der Größe der Kinderhand gemessen werden. Neben der Auswahl der Lebensmittel ist auch die Atmosphäre während der Mahlzeiten entscheidend: Kinder sollten selbstbestimmt essen dürfen, ohne Druck oder Zwang. Eine positive Essumgebung fördert das gesunde Essverhalten und die Akzeptanz neuer Speisen.
Symptome von Mangelernährung bei Kindern und Kleinkindern
Mangelernährung entsteht, wenn die Zufuhr oder Verwertung von Nährstoffen über einen längeren Zeitraum unzureichend ist. Diese kann sowohl durch zu geringe Kalorien- als auch durch einen Mangel an bestimmten Mikronährstoffen (z. B. Eisen, Vitamin D, Folsäure) entstehen. Typische Warnsignale einer Mangelernährung sind:
- Stagnation oder Abnahme der Gewichtsentwicklung
- Wachstumsstörungen (Verlangsamung der Längenentwicklung)
- Verschiebungen in der Perzentilenkurve (z. B. Absinken unter die 3. Perzentile)
- Auffallend dünne Arme und Beine, hervorstehende Knochen
- Eingesunkene Fontanelle bei Säuglingen
- Blasse Haut, trockene Schleimhäute
- Gedeihstörungen (Mangel an Energie, Aktivitätsabfall)
- Verzögerte motorische und geistige Entwicklung
Weitere Hinweise können häufige Infekte, Wundheilungsstörungen, auffällige Müdigkeit oder Konzentrationsprobleme sein. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist zudem auf Veränderungen im Sozialverhalten zu achten: Antriebslosigkeit, fehlendes Interesse am Spielen oder geringe Interaktion können auf eine Mangelernährung hindeuten.
Symptome körperlicher Vernachlässigung
Körperliche Vernachlässigung zeigt sich häufig durch eine unzureichende Versorgung mit Nahrung, Sauberkeit, Kleidung und medizinischer Betreuung. Mögliche Hinweise sind:
- Offensichtliche Unterernährung, Hunger, Durst
- Ungepflegtes Erscheinungsbild, schlechte Mund- und Zahnhygiene
- Unpassende oder verschmutzte Kleidung
- Wiederkehrende, unbehandelte Infektionen oder Erkrankungen
- Verzögerte Entwicklung von Sprache und Motorik
- Häufiges Fehlen bei ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen
- Entwicklungsstörungen und Gedeihstörungen ohne erkennbare organische Ursache
- Sozialer Rückzug, Ängste, depressive Verstimmung
Auch eine fehlende Förderung durch die Eltern, wie das Ausbleiben von Stimulation, Zuwendung oder altersgerechter Beschäftigung, kann die Entwicklung nachhaltig beeinträchtigen. In schwerwiegenden Fällen kann Vernachlässigung zu bleibenden körperlichen und seelischen Schäden führen.
Ein frühzeitiges Erkennen und Handeln durch Fachkräfte und Bezugspersonen ist entscheidend, um Folgeschäden zu vermeiden und dem betroffenen Kind eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen.
Eine altersgerechte Ernährung, regelmäßige Beobachtung des Wachstums und die sensible Wahrnehmung von Warnsignalen sind die Grundlage für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Kleinkindern. Bei Anzeichen von Mangelernährung oder Vernachlässigung sollten frühzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen und fachliche Hilfe hinzugezogen werden.
Kreuzen Sie korrekt an.
Arbeitsauftrag: Ordnen Sie die Begriffe korrekt zu.

Spezifische Gewalteinwirkungen und sexuelle Übergriffe
Arbeitsauftrag: Recherchieren/Diskutieren Sie die Gefahr des Schütteltraumas (Shaken Baby Syndrome). Erklären Sie, warum die mechanischen Kräfte im Kopf eines Säuglings so verheerend sind und nennen Sie die typische Trias der Befunde (z. B. subdurale Hämatome, retinale Blutungen).
Hier finden Sie Platz für Ihre Ergebnisse.
Arbeitsauftrag-Recherche: Erstellen Sie eine anonyme und sachliche Mindmap zu Anzeichen und Symptomen zur Erkennung sexueller Übergriffe bei Kindern. Fokussieren Sie sich dabei auf:
- Körperliche Anzeichen (z. B. Verletzungen im Genital- oder Analbereich, wiederkehrende Harnwegsinfekte).
- Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Angst, Schreckhaftigkeit, ungewöhnliches Sexualwissen für das Alter, plötzlicher Leistungsabfall).
- Sensibilisierung: Betonen Sie die Priorität der traumasensiblen Befragung und die korrekte medizinische Dokumentation.
Anzeichen und Symptomen zur Erkennung sexueller Übergriffe bei Kindern
MUSTERLÖSUNG FÜR DIE LEHRKRAFT!!!

Offene Diskussionsrunde
Diskussion im Plenum - Transfer: Welche Handlungsschritte und Meldepflichten ergeben sich für Ihre berufliche Rolle (z. B. nach § 8a SGB VIII oder interner Leitlinien) beim begründeten Verdacht auf Kindeswohlgefährdung? Warum ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit (Pädiater, Jugendamt, Polizei) essenziell?